Margareta Fuchs aus Brixen widmet sich seit vielen Jahren der mündlichen und schriftlichen Erzählkunst, der Welt der Mythen, Sagen und Märchen. Es ist ihr ein großes Anliegen, alte Geschichten vor dem Vergessenwerden zu bewahren und sie zu neuem Leben wiederzuerwecken.
Zudem bietet sie ‚sagenhafte‘ Wanderführungen an, bei welchen sie Natur- und Landschaftswahrnehmung, Mythologie und Geschichte zu einem Gesamterlebnis verbindet.
Publikationen und andere Tätigkeiten
Bücher
Gestaltung von diversen Rundfunkbeiträgen, z.B.
Textauszug „Von wilden & weisen Frauen“
Ausschnitt aus dem Vorwort:
…Der Begriff „Sage“, so haben wir immer gelernt, hängt mit dem Wort „saga“ zusammen, also mit dem mündlichen Erzählen, mit dem „Gesagten“. Laut der feministischen Forscherin Barbara Walker jedoch bedeutet das altnordische „Saga“ wörtlich „Sie-die-spricht“. Gemeint ist die skandinavische Orakelpriesterin, eine weibliche Weise im Besitz der heiligen Poesie. Diese Geschichten wurden laut Walker von den „Sagas“, den „Sagerinnen“ aufbewahrt und auch in Runenzeichen niedergeschrieben, zumal das Lesen und Schreiben/Legen von Runen in erster Linie eine Frauenangelegenheit war.
In unserem Buch wollen wir die verschiedenen Tiroler „Sagerinnen“ zu Wort kommen lassen. Seltsame und geheimnisvolle Frauen begegnen uns in diesen teilweise uralten Sagen. Manche lassen die Zeiten erahnen, in denen das Wissen um die Bedeutung des Weiblich-Göttlichen noch allgegenwärtig und eine tiefe Verbundenheit zur Natur und allen ihr innewohnenden Wesen selbstverständlich waren.
Sie verdeutlichen aber auch, wie sich Rolle und Position der Frau in der Gesellschaft im Laufe der Zeit verändert haben; sie beschreiben die Geschichte ihres Machtverfalls, zeigen auf, wie aus der einstmals hochrespektierten Weisen Frau die gefährliche Hexe wurde, die es zu bekämpfen galt, so wie ihr Wissen schlussendlich ins Lächerliche gezogen wurde.
In den Tiroler Sagen haben wilde, unzähmbare Weiber, rätselhafte Seherinnen, unbekannte Königinnen überlebt. Diesen und allen anderen Frauenfiguren möchten wir unser Buch widmen, ihre zunehmend in Vergessenheit geratenen Geschichten wieder erzählen und mit neuem Leben füllen….
Textauszug aus der Sage „Das Ende der Riesin Grostàna“
Lange, sehr lange ist es her, es war damals, als Christus im Stall von Bethlehem geboren wurde. Zu jener Zeit gab es bei uns noch wenige Siedlungen und Dörfer. Rau war das Leben der Menschen in den Bergen, einfach und bescheiden. Kartoffeln gab es noch nicht und auch keine Polenta. Was es zum Abendessen gab? Eine Schüssel lauwarme Milch, frisch gemolken, und dazu ein Stück hartes Brot aus Roggenmehl, das einzige Getreide, das auf den mageren kleinen Feldern wuchs, welche die Menschen neben ein paar Viehweiden den großen wilden Wäldern abgetrotzt hatten.
Der kleine Bach am Rande der Siedlung versorgte die Dorfbewohner mit dem nötigen Trinkwasser, im Winter aber, und diese Geschichte spielt im Winter, da war der Bach oft zugefroren, und so musste zuerst eine dicke Eisschicht durchgehackt werden, um zum spärlichen Rinnsal darunter zu gelangen. Wie waren die Menschen an diesen eisig kalten Tagen froh über ihre Winterbekleidung aus Schaffell, denn der Winter biss zu, wo er nur konnte.
In den Behausungen gab es einen einzigen warmen Raum, der als Koch- und Schlafstelle gleichzeitig diente, und in der Mitte dieses Raumes brannte in einer Vertiefung aus gestampfter Erde den ganzen Tag über ein herrlich warmes Feuer: Denn an Holz fehlte es glücklicherweise nie. Mit Hilfe von Eseln wurde es aus den nahen Wäldern herbeigeschafft; stark und klug, wie sie waren, genügte ein Wort, und sie fanden den Weg zu den Behausungen allein zurück. Niemals erhob jemand eine Hand gegen sie oder schlug sie gar, denn alle, auch die Übelgelauntesten unter den Dorfbewohnern, wussten, ohne die Esel würde man sterben – vor Kälte oder vor Hunger.
An einem frostig kalten Winterabend verschwanden im Dorf ein Esel und ein Ochse. Ihr Verschwinden wurde erst am nächsten Morgen bemerkt, denn die Haustiere befanden sich hinter den Hütten in aus Steinen aufgeschichteten Stallungen oder Höhlen, deren einzige Öffnung nachtsüber dicht mit Fichtenzweigen abgedeckt wurde.
Des Nachts, vor allem zur Winterzeit, war es besser, im Haus zu bleiben, dies wusste ein jeder. Die Nachtwelt gehörte anderen Wesen, seltsamen und unberechenbaren, guten und weniger guten, bedrohlichen und gefährlichen. Und manchmal, und das war das Schlimmste, was geschehen konnte, tauchte die Grostàna auf. Wehe dem, der dann im Freien war! Der- oder diejenige war verloren! Denn die Grostàna war riesengroß, aus der Ferne schaute sie aus wie eine riesige sich bewegende Fichte, aber im nächsten Augenblick war sie auch schon da, und wen sie im Freien antraf, der wurde von ihr ausgelöscht, aufgesaugt in die riesige, tintige Masse ihres Körpers. Wie eine enorme Wolke schwebte ihr großer Schatten Ausschau haltend über Dörfer und Wälder…
Leseprobe aus dem Buch „Was Blumen erzählen“, Ausschnitt aus der Einleitung:
Blumen sind seit vielen Jahrtausenden unsere lieblichsten Wegbegleiterinnen – in Freud und Leid, in Gesundheit, in Liebe und Tod. Sie sind überall anzutreffen: unscheinbar am Straßenrand, in bunten Wiesen bis hinauf in hochalpines Gelände sowie in edler, gepflegter Form in Parkanlagen und Gärten. Seit Jahrtausenden sind sie Bestandteil von Kultstätten: Sie zieren Tempel, Moscheen und Kirchen, den kleinen Bildstock und das hölzerne Wegkreuz. Keine religiöse Feier findet ohne sie statt: Sie begleiten Taufen, Hochzeiten und Beerdigungen. Auch die Gräber der Verstorbenen werden seit jeher mit Blumen geschmückt: Bereits in einem über 40.000 Jahre alten irakischen Grab, dem sogenannten „Blumengrab“, fand man Spuren von Kornblumen, Schafgarben und Malven.
In ihrem schweigsamen Dasein bergen Blumen unzählige Geheimnisse, und wer genügend Zeit mit ihnen verbringt, kann davon mehr erfahren. Man kann aber auch den alten Blumengeschichten lauschen – sie öffnen die Tür zu einem wundersamen Kosmos….
Ausschnitt aus der Legende „Die neuen Pantoffeln“. Zur Blume "Frauenschuh":
Als Jesus ungefähr acht Jahre alt war, gerieten seine gleichaltrigen Spielgefährten einmal beim Spielen sehr ins Staunen: sie hatten aus Lehm kleine Vögelchen angefertigt und gerade in die Sonne zum Trocknen gelegt, als sie sahen, wie Jesus auf die von ihm geformten Lehmvögelchen seinen Atem blies – und sich diese in die Lüfte erhoben und davonflogen.
Aber sein erstes Wunder hatte er früher schon vollbracht.
Du musst wissen, dass Maria, seine Mutter, von ihrer Base Elisabeth als Brautgeschenk ein Paar Pantoffeln geschenkt bekommen hatte. Aber es waren keine gewöhnlichen ‚Arme-Leute-Pantoffeln‘, nein, sie waren aus Leder angefertigt, so wie die Fußbekleidung der Soldaten des Pilatus. Vorne waren sie geschlossen und liefen leicht spitz zusammen wie die Schuhe der reichen Pharisäerfrauen; unter der Ferse war die Sohle doppelt genäht, wie es bei den Hofdamen des Königs Herodes Mode war.
An einem Abend ließ Maria aus Zerstreutheit ihre Pantoffeln vor der Haustür stehen, und als römische Soldaten ihre Wachrunde drehten, sah ein Offizier sie. Im Licht seiner Fackel betrachtete er die Schuhe und dachte sich: ‚Solch hübsche Pantoffeln hat keine einzige Frau bei uns in Rom‘. Er ließ sie in seinem Rucksack verschwinden und stellte sich dabei schon gedanklich vor, wie seine Cornelia überrascht sein würde und auch die kaiserlichen Hofdamen.
Als am kommenden Morgen Maria ihre Pantoffeln suchte, konnte sie sie nicht finden. Das ganze Haus kehrt sie drunter und drüber; sie wusste nämlich nicht mehr, dass sie sie vor der Haustür hatte stehen lassen. Der hl. Joseph sagte: „Himmel, was machst du für ein Aufsehen wegen ein paar Schuhen! Ich werde dir neue kaufen!“ Maria erwiderte: „Aber diese Schuhe waren besonders hübsch, sie hatten Stöckel!“ Enttäuscht musste sie sich die alten, abgenützten Pantoffeln anziehen.
Jesus hatte das ganze Geschehnis wortlos beobachtet, und er hatte Mitleid mit seiner Mutter. Er verließ das Haus…
Leseprobe aus dem Buch „Was Bäume erzählen“. Ausschnitt aus der Einleitung:
Vor langer Zeit, als es auf der Erde noch keine Menschen gab, stand er, der Baum, bereits da, als Mittelpunkt der Welt. Seine Wurzeln reichten hinab in die unendliche Tiefe der Unterwelt, und seine Krone berührte die ewige Weite des Himmels. Göttinnen und Götter erwählten ihn sich als Wohnung…
Mit solchen oder ähnlichen Worten wird in vielen alten Mythen ein göttlicher ‚Ur-Baum‘ beschrieben, welcher als Weltenachse Himmel, Erde und Unterwelt miteinander verbindet.
Zahlreiche antike Abbildungen eines Lebensbaums bestätigen diese tiefgründigen Glaubensvorstellungen früherer Völker, denen er als unerschöpflicher Spender von Leben und Fruchtbarkeit galt.
Die facettenreiche Verehrung der Bäume hielt über Tausende von Jahren an, und das ist nicht weiter verwunderlich, war doch das menschliche Leben und Überleben tief mit ihnen verbunden: Mit dem Holz des Baumes baute der Mensch sich Behausungen und schürte das Feuer, dessen Früchte und Blätter gaben ihm Nahrung; der Baum spendete Medizin bei Krankheit und Verletzung, und er war Bindeglied zur Anderswelt: über ihn gelangten der Priester und die Schamanin in über- oder unterirdische Sphären, um mit der Gottheit in Kontakt zu treten; ja, der Baum selbst war Göttin, und aus dem Lispeln der Blätter verstand der Mensch ihre Botschaft.
Wie tief verwurzelt dieser Glaube war, lässt sich auch aus dem immensen Reichtum an antiken Baum- und Waldsagen vieler Völker erkennen. Sie erzählen auf berührende Weise von Baumgöttinnen und Waldgottheiten, von Baumnymphen und –dämonen, von Wilden Männern und Waldfrauen, von der Verwandlung eines Menschen in einen Baum und umgekehrt: in manchen Mythologien sind die ersten Menschen aus Bäumen entstanden.
Auch als der ‚neue‘ Glaube, das Christentum, an die Stelle früherer Religionen trat, hielten viele Menschen noch lange an den alten Bräuchen, wie der Verehrung von Steinen, Quellen und Bäumen, zäh fest. Seltsame Wesen, gute und weniger gute, würden zudem im Baum leben, vor allem unter der Baumrinde, und sie wären im Besitz besonderer Kräfte, so war man überzeugt. ‚Schäl keinen Baum, reiß nicht aus einen fruchtbaren Baum!‘, lautete deshalb die ermahnende Volksstimme.
Die kultische Verehrung von Bäumen dauerte auch in Tirol nach der christlichen Glaubensübernahme noch über viele Jahrhunderte an, denn unsere Ahnen ließen sich nicht so leicht von ihren alten Ansichten abbringen. Uralte, über lange Zeit vom Volk verehrte Bäume mussten deshalb schlussendlich weichen. So fiel beispielsweise eine heilige doppelspitzige Lärche in der Nähe von Nauders im Jahr 1855 der Axt zum Opfer. Der Respekt vor diesem Baum war vorher so groß gewesen, dass in seiner Nähe weder geflucht, geschrien noch gestritten werden durfte. Wer es wage, den Baum zu fällen, dem würde ein schlimmes Unglück widerfahren, hatte es stets geheißen.
Auch neben dem Silvesterkirchlein im Silvestertal bei Toblach stand früher ebenso eine uralte, riesige Lärche. An ihre Äste befestigte das Volk hölzerne, wächserne und aus Lehm gebildete Figuren von Mensch, Rind und Pferd. Doch dann ließ der Pfarrer den weitum als ‚Heiliglarch‘ bekannten Baum von fremden Holzknechten fällen, zum Unmut des Volkes. Aber die Hirten und Bauern der Umgebung verrichteten noch lange Zeit ihre Andacht am übrig gebliebenen Baumstock, ohne die nahe stehende Kirche besonders zu würdigen, so sagt die Überlieferung….
Ausschnitt aus der Sage „Der Teufel am Passo del Termine“. Zum Baum „Erle“.
Der zwischen dem Val Trompia und dem Sabbiatal gelegene Passo del Termine (Provinz Brescia/Lombardei) galt früher nachts als sehr unheimlich. Jede Nacht würde hier nämlich der Teufel vorbeikommen, hieß es früher, und wer sich dann getraue, da hinaufzugehen um ihm zu begegnen, dem schenke er unermessliche Schätze.
„Nehmt diesen Erlenzweig hier und steigt hinauf auf den Passo del Termine!“, erklärte eine Hexe zwei jungen Almhirten. „Oben müsst ihr damit am Boden einen Kreis ziehen und euch hineinstellen, dann müsst ihr den magischen Satz, den ich euch jetzt lehre, aufsagen, aber danach dürft ihr kein einziges Wort mehr aussprechen, habt ihr gehört? Nicht ein einziges Wort! Denn sonst löst sich der ganze Zauber auf. Und dass ihr mir ja nicht vor Sonnenaufgang aus dem Kreis heraustretet, sonst wehe euch!“ Die Hexe unterstrich mit einer Geste ihrer Hände die Gefährlichkeit der Situation.
Was die beiden Burschen der Hexe für dieses Lehrstück gegeben hatten, weiß ich nicht. Jedenfalls stiegen sie auf den Pass hinauf, sie zogen mit dem Erlenzweig einen Kreis, stellten sich hinein und rezitierten die Zauberworte. Da zogen plötzlich von allen Seiten - von den darunterliegenden Tälern und von den Berggipfeln ringsumher - dichte Nebel- und Rauchschwaden auf, ein fürchterlicher Gestank lag in der Luft, und dann ertönten zwei so starke Donnerschläge, dass der Berg zitterte. Es war Nacht geworden.
Und nun kamen vor den Augen der Burschen unzählige Tiere vorbei, Tiere des Wassers, der Luft und der Erde, manche davon hatten sie schon einmal gesehen, von anderen wussten sie, dass es sie gab, manche hatten sie noch nie zuvor gesehen. Stiere kamen daher und Löwen, Adler, Forellen, Bären, Vipern, es folgten Fledermäuse, Affen, Skorpione, Wölfe, Krokodile, Salamander…riesige Tausendfüßler, Monsterfische, Säugetiere, die aussahen wie Vögel…und wieder viele andere…manche spuckten Feuer aus ihrem Maul, bei anderen kam zwischen den grauenerregenden Zähnen dunkler Rauch heraus…und jedes Mal, wenn ein Tier vorbeizog, ertönte ein lauter Donnerknall, dass…