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21.03.2023
Neuerscheinungen
Kassiopeias Stern

Schauplatz Tirol im 16. Jahrhundert: Malerei und Liebe, Betrug und Enttäuschung. Ein historisches Frauenporträt zwischen Verletzlichkeit und Selbstermächtigung, in jeder Hinsicht aktuell.

Was wäre gewesen, wenn Michelangelo oder Tizian als Mädchen geboren worden wären? Würde man sie auch dann unter die größten Künstler reihen, die es je gegeben hat? Diese Überlegungen bilden den Hintergrund von Margot Thun-Rauchs soeben bei Edition Laurin erschienenen Debutroman „Kassiopeias Stern“.

Als Mädchen und Findelkind verfügte die Protagonistin trotz ihres überragenden Talents nicht über die besten Voraussetzungen für eine Künstlerkarriere. Denn, wie es im Prolog des Romans heißt: „Damals herrschte ein Kaiser und bestimmte ein Papst und alles hatte seinen Platz. Es gab ein Diesseits und ein Jenseits, ein Oben und ein Unten, ein Wir und die Anderen, ein Gestern und ein Heute. Und auch morgen sollte alles an seinem Platz sein, vorbestimmt durch das Geschlecht, den Stand, die Familie und die Gestirne.“

Marie musste gegen zahlreiche Hürden, gegen Unverständnis und Selbstzweifel ankämpfen. Als sie 14 Jahre alt war, glaubte sie, in dem Magier und Alchemisten Scotto einen Förderer und Unterstützer gefunden zu haben: „Er war plötzlich einfach da. Geronimo Scotto war mal bei den Malern anzutreffen, mal bei den Tänzern, mal bei den Ballspielern oder anderen Italienern im Schloss. Sein Wams war aus weichem Tuch, seine Schuhe aus glänzendem Leder, und seine Hände waren die Hände eines Mannes, der nie gearbeitet hatte. Dazu hatte er einen Diener bei sich, der nie müde wurde zu erzählen, dass sein Herr der Spross eines uralten, bis zu den Römern zurückreichenden Grafengeschlechts aus Piacenza sei.“

Durch Prolog und Epilog, durch erläuternde Kapitelüberschriften und den mit der Sprache der frühen Neuzeit kokettierenden Dialogen erinnert die fiktive Geschichte nicht nur an die damalige Unterhaltungsliteratur, sondern wirkt beinahe wie ein Zeitzeugnis. Da aber in jedem Text immer auch Vieles jener Zeit steckt, in der er abgefasst wurde, lassen sich auch in dieser Geschichte durchaus aktuelle Bezüge finden. Und dies nicht nur deshalb, weil damals eine Pandemie herrschte und eine radikale Klimaveränderung mit einer kleinen Eiszeit stattfand: „Es war nun das denkwürdige Jahr 1572. Die Missernten der letzten Sommer führten zu Hungersnöten in einem Winter, der so kalt wie lang war. Die Pest war wieder zurückgekehrt und hatte bei der geschwächten Bevölkerung leichtes Spiel.“

Die gebürtige Boznerin Margot Thun-Rauch weiß, worüber sie schreibt. Zwanzig Jahre lang arbeitete sie als Kuratorin im Kunsthistorischen Museum Schloss Ambras bei Innsbruck, kuratierte Ausstellungen und verfasste Katalogtexte, die zum Großteil das 16. Jahrhundert behandelten. Daher erhält der Leser ganz nebenbei fundierte Einblicke in die Kunst und Politik, in das Schloss- und Stadtleben der damaligen Zeit: „ ... der Weg bot ihr immer wieder großartige Ausblicke auf die Bergkette der gegenüberliegenden Talseite, die wie eine schützende Mauer die kalten Nordwinde abhielt und die Stadt behütete. Auch sah sie von dort den breiten Talboden beinahe wie ein Vogel von oben, sah den See, als wäre ein kleiner Fleck Himmel auf die Erde getropft, und den sanft geschwungenen Fluss, auf dem mit Fässern beladene Treidelboote flussabwärts trieben, während andere von Pferden flussaufwärts gezogen wurden. An den Ufern ließen die Stadtbauern ihre Kühe und Ochsen in den Auen weiden, ihre Äcker und Felder lagen nahe der östlichen Stadtmauer, und die braunen, grünen und gelben Rechtecke wirkten im nachmittäglichen Licht, als hätte ein Riese seine Decke ausgebreitet. Schon konnte Marie im blauen Dunst die Türme und zinnenbewehrten Giebel des Städtchens erkennen.“

Im Vordergrund der Geschichte steht jedoch der mal leicht, mal ironisch oder schonungslos aber immer spannend erzählte Werdegang dieses Mädchens, das wohl gleich viel Mut wie Talent nötig gehabt hätte.

Weitere Informationen: www.margotrauch.com, office@editionlaurin.at oder margot.thun@thun.it